Im Sommer 68 war in Winterthur nur das Wetter heiss

Der Landbote am 1.Juli 1968

Der Landbote am 1.Juli 1968

Fast alles schien möglich zu sein – im Sommer 1968. Vieles was bisher als selbstverständlich galt, wurde damals von einer breiten Jugend- und Studentenbewegung radikal in Frage gestellt. Verbale und handgreifliche Angriffe gegen das Establishment gehörten vor allem in Frankreich und Deutschland über Wochen zur Tagesordnung. Mit der Zeit schwappte die Welle der Proteste auch in die Schweiz über. Immer mehr Junge begehrten auf – und forderten die Autoriäten heraus. Im «Landboten» wurde diese Entwicklung damals mit grosser Sorge verfolgt.

Vor allem nach dem vorläufigen Höhepunkt, den Globuskrawallen in der Stadt Zürich von Ende Juni, bezog die Zeitung deutlich Stellung. Und griff da auch schon mal zum Zweihänder. Unter dem Titel «Zürichs Mob wird arrogant», versuchte der Kommentator «hs» in der Montagsausgabe vom 1. Juli die Ereignisse der «heissen Nacht in Zürich» richtig einzuordnen. Die Tonalität war unmissverständlich. Immer wieder war in seinem Kommentar von «zweifelhaften Elementen», vom «Pöbel» und von «jugendlichen Anarchisten» die Rede. Diese hätten eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei provoziert und deshalb «die gebührende Antwort erhalten».

Dem Kommentator gefiel insbesondere, dass die Stadtzürcher Bevölkerung der Stadtpolizei unmittelbar nach den Unruhen ihre «volle Sympathie» und Unterstützung versichert hatte. «Darüber darf man sich auch ausserhalb Zürichs freuen», schrieb «hs». Er schloss daraus, dass die Grundhaltung zu diesen Demos in der Bevölkerung klar war: «Es ist ein deutlicher Fingerzeig für die senkrechte Gesinnung unseres Volkes, das nichts einzuwenden hat gegenüber notwendigen Reformen, zugleich aber nicht gewillt ist, sich dem Terror des ausländischen Vorbildern nacheifernden Mobs zu beugen.»

In Winterthur selber war in diesen bewegten Zeiten nichts von Revolte und Umwälzungen zu spüren. Stattdessen zelebrierte man eine heile Welt. Auch die Studenten des hiesigen Technikums waren nicht auf Konfrontation und Rebellion aus. Zwar fielen sie in diesen Tagen ebenfalls durch einen öffentlichen Umzug auf. Doch die Demonstration war nur Mittel zum Zweck, um Geld für die afrikanische Provinz Biafra (Nigeria) zu sammeln. Denn die Hungersnot, die der brutale Bürgerkrieg in Afrika hervorrief, hatte in dieser Zeit auch in Winterthur viele Menschen betroffen gemacht – und zum Spenden animiert.

Was unsere Studenten bisher unternahmen, war immer recht, und das wissen wir Winterthurer. Kommentar im Landboten, Juli 1968

Titelseite des Landboten bei den Globus-Krawallen

Titelseite des Landboten bei den Globus-Krawallen

«Wir Winterthurer sind stolz auf unsere Studenten», schrieb damals ein Redaktor im «Landboten». Er wies darauf hin, dass ein Sprecher der Studenten vor dem Umzug Instruktionen erteilt habe, wie man vorgehen solle, wenn der Umzug von irgend jemandem gestört werden sollte. «Diese Wahrscheinlichkeit besteht jedoch in unserer Stadt kaum», liess der Redaktor die Leserinnen und Leser wissen. «Was unsere Studenten bisher unternahmen, war immer recht, und das wissen wir Winterthurer.»

Offenbar war im Sommer 68 in Winterthur tatsächlich nur das Wetter heiss. «Bei einer durch die hochsommerliche Hitze fühlbar beeinträchtigten Stimmbeteiligung von nur 57 Prozent bewilligten gestern die Winterthurer Stimmberechtigten die beiden städtischen Kreditvorlagen», hiess es im «Landboten» am Montag, 1. Juli, unter der Rubrik «Stadt Winterthur». Die Bevölkerung stimmte am Wochenende der Globuskrawalle unter anderem dem Bau des Schwimmbades Töss zu.

Im Abstimmungskommentar wurde erneut die damals herrschende Hitzewelle thematisiert. «Das Klima gebärdet sich südländisch, mehr fast als in Italien, und bei solcher Temperatur lag es nahe ein Ja in die Urne zu legen, damit sich die armen Tössemer an Tropentagen auch im eigenen Schwimmbad erfrischen können.»

In der Werbung des Landboten war von Emanzipation noch nichts spürbar.

In der Werbung des Landboten war von Emanzipation noch nichts spürbar.

In der gleichen Ausgabe des «Landboten» widmete man sich unter dem Titel «frauenleben+frauenschaffen» mit einer ganzen Seite der Hausfrau von damals. Dabei ging es allerdings nicht einmal im Ansatz um Gleichstellungsfragen oder um neue Rollenbilder, die die 68er-Bewegung ebenfalls postulierte. Im Gegenteil. Auf dieser Seite ging es einzig und allein darum aufzuzeigen, was Hausfrauen stolz macht. Thematisiert wurden beispielsweise «schöne Tischtücher», die jede gute Hausfrau haben müsse. Denn ein schönes Tischtuch erhöhe die Esskultur.

Unter dem Titel «Entrümpelung im Küchenschrank» wurde die Leserin und Hausfrau darauf hingewiesen, dass es sich nicht geziemt im Küchenschrank schadhafte Tassen und Schüsseln aufzubewahren. «Welche üblen Folgen es haben kann, wenn eine solche Tasse mit heissem Kaffee gefüllt ist und plötzlich auseinanderbricht, darüber macht sich die Besitzerin kaum Gedanken.» Ganz anders stellt sich jedoch die Situation dar, wenn sich die pflichtbewusste Gattin endlich von ihrem «Plunder» befreit – und ihn entsorgt. «Die Hausfrau atmet auf.»

Auch das Aussehen wurde thematisiert. Das Altern der Frau müsse zwar angenommen werden, hiess es da beispielsweise. Pflege sei jedoch eine Notwendigkeit für jeden Menschen, «besonders für die berufstätige Frau».

Thomas Münzel

Pflege ist eine Notwendigkeit für jeden Menschen, besonders für die berufstätige Frau. Landbote vom Juli, 1968
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