Winterthur 1968, das Ur-Albani und das «falsche Africana»…

 In den 1960er-Jahren kamen in Winterthur Musikclubs auf, die erstmals «schwarze Musik» spielten. Eine treibende Kraft dahinter war der Musiker René Theiler.

Die Bar Africana an der Neustadtgasse im Jahr 1972

Die Bar Africana an der Neustadtgasse im Jahr 1972

Es gab natürlich das ganze klassische Programm der Eltern: Oper und Theater. Oder die populären Volksbühnen. Oder auch mal Jazz und Dixieland in einem Kellerlokal. Aber der neue, wilde Blues und Rock’n’Roll aus den USA und vor allem aus Grossbritannien hatte in Winterthur Anfang der 1960er-Jahre keinen Platz. Das änderte sich erst mit der Eröffnung von neuartigen Musiklokalen in der Stadt.

Mitte des Jahrzehnts eröffnete an der Neustadtgasse 29 eine Institution, die es in der Arbeiterstadt so noch nicht gegeben hatte. Das Konzertlokal Africana wurde zum Magneten für junge Menschen – trotz Alkoholverbot und früher Sperrstunde. Im Lokal, von dessen Bedeutung heute nur noch der blasse Schriftzug am Gebäude zeugt, ertönte «schwarze Musik», die man zuvor, wenn überhaupt, nur Zuhause auf Platte gehört hatte. Im Innern stand eine neuartige Musikbox mit über 200 Pop-Platten, Live-Konzerte gab’s von lokalen oder auch britischen Bands. In den 70er-Jahren fanden die ersten Konzerte der Musikfestwochen im Africana statt.

Bereits Ende der 60er-Jahre wurde im Albani neue, «schwarze Musik» gehört. Am Anfang des Umbruchs stand aber das Africana an der Neustadtgasse. Wer sich dort blicken liess, fiel bei der Kantonsschule in Ungnade. Fotos: Familie Theiler, Winbib

Bereits Ende der 60er-Jahre wurde im Albani neue, «schwarze Musik» gehört. Am Anfang des Umbruchs stand aber das Africana an der Neustadtgasse. Wer sich dort blicken liess, fiel bei der Kantonsschule in Ungnade. Fotos: Familie Theiler, Winbib

Pink Floyd und Genesis

Gründer des Lokals war der umtriebige Pianist René Theiler, geboren und aufgewachsen in Andelfingen. Er kaufte die Liegenschaft an der Neustadtgasse im Jahr 1963. Fünf Jahre später übernahm er auch ein Lokal an der Steinberggasse; nach einem Umbau öffnete dort der «Hotel Albani Dance Club» seine Türen.

Doch René Theiler war auch ausserhalb von Winterthur aktiv, einen Africana-Ableger gründete er in St. Gallen, was Winterthur nicht eben zum Vorteil gereichte. Denn erst in St. Gallen hatte Theiler endlich genug Platz, um grosse Bands vor viel Publikum zu buchen. Im St. Galler Africana spielten damals Pink Floyd, die Gruppe Emerson, Lake & Palmer und später auch Genesis. Dafür reichten die Platzverhältnisse an der Neustadtgasse nicht.

René Theiler starb 2007, sein Sohn mit dem gleichen Namen erinnert sich noch heute gerne an die bewegte Zeit zurück. «Die ganze Szene in den Musikclubs, die schwarze Musik von der Bühne und aus der Jukebox, und das alles ohne Dezibelmesser – das war einfach revolutionär», sagt Theiler junior. «Es waren bei weitem nicht alles Hippies, aber die gab es auch. Und es gab auch Drogen, aber das wurde ganz diskret gemacht.»

Die Familie Theiler in den 70er-Jahren, rechts René Theiler senior und ­junior. Foto: Familie Theiler

Die Familie Theiler in den 70er-Jahren, rechts René Theiler senior und ­junior. Foto: Familie Theiler

Tatsächlich genoss beispielsweise das Africana gar keinen guten Ruf in der bürgerlichen Gesellschaft. Der «Landbote» schrieb auch schon, dass das Kantonsschulrektorat damals eine schwarze Liste führte mit jenen Schülern, die sich an der Neustadtgasse vergnügten.

Laut Theiler kamen die Gäste von weit her nach Winterthur: «Ich erinnere mich, dass das Africana immer wieder brechend voll war, auch aus Deutschland kamen die Leute. Obwohl es keinen Alkohol gab und meistens um 23 Uhr Schluss war.» Sein Vater sei ein leidenschaftlicher Veranstalter gewesen: «Er hörte sich die Bands in Grossbritannien live an und holte sie dann nach St. Gallen oder Winterthur.»

Auf Glücksspiel umgesattelt

Mitte der Siebzigerjahre wurde René Theiler senior das Musikclub-Geschäft zu viel, er verkaufte seine Betriebe und setzte fortan auf das Glücksspiel – zeitweise besass er in der ganzen Ostschweiz um die 1000 Spielautomaten, die meist in Beizen und Hotels aufgestellt waren.
Das Glückspiel hielt auch im Africana Einzug, ab den 80er-Jahren war es als Spielsalon verpönt, in den oberen Etagen gingen Prostituierte und Freier ein und aus. Das Albani erlebte nach Zwischennutzungen 1988 einen Neuanfang als international beachteter Musikclub. Diesen Monat wird der 30. Geburtstag gefeiert. Der Aufbruch im Jahr 1968 ist dabei kein Thema.

Mirko Plüss

«Die schwarze Musik von der Bühne und aus der Jukebox, und das alles ohne Dezibelmesser – das war revolutionär.»
René Theiler junior
© Tamedia