Auf der Suche nach den Höhlen und Stollen des Tösstals

Auf seinen Exkursionen trifft Höhlenforscher Richard Graf auf eine sich ständig verändernde Natur.

Auf seinen Exkursionen trifft Höhlenforscher Richard Graf auf eine sich ständig verändernde Natur.

Auf Entdeckungstour in der nahen Wildnis

Höhlenforscher erkunden das Tösstal und stossen dabei auch auf Überraschungen. Seit der letzten Dokumentation in den 60er-Jahren hat sich in den Tobeln einiges verändert.

Richard Graf ist gerade hinter einer Kuppe verschwunden, als ein dumpfes Knacken durch den Wald hallt. Gefolgt von einem Rutschgeräusch und raschelndem Laub. «Nichts passiert», ruft der 65-Jährige nach einigen Sekunden. Der Ast, auf den er sich abgestützt hatte, war morsch gewesen. Graf legte ein Stück auf dem Hosenboden zurück. Egal. Der Höhlenforscher ist es gewohnt, sich abseits der Wege zu bewegen. Da gehören Schrammen von Brombeersträuchern oder kurze Rutschpartien auf dem weichen Waldboden dazu.

Zudem hat Richard Graf ein Ziel: Er sucht im Tösstal nach verborgenen Höhlen oder Stollen. Vielleicht gibt es an den vielen Bachläufen Unterspülungen, die bisher noch nicht vermessen wurden? Bekannte Höhlen gibt es in der Gegend jedenfalls viele. Rund 60 sind es im Zürcher Oberland. Hinzu kommen unzählige Felswände und Überhänge.

Tätschgubel und Gubeltätsch

Mitglieder der Ostschweizerischen Gesellschaft für Höhlenforschung haben in den 60er-Jahren die wichtigsten Höhlen in der Region dokumentiert. Inzwischen hat sich einiges geändert. So stimmt die Vegetation teilweise nicht mehr mit alten Beschreibungen überein, die Zugänge haben sich durch neue Wanderwege verbessert oder es kam vereinzelt zu Felsstürzen. Sogar die Namen von Höhlen haben sich im Laufe der Jahre hie und da leicht verändert, Leeberg statt Lehberg zum Beispiel oder Schwarzengubel/Tätschgubel statt Gubeltäsch.

Grund genug für Richard Graf und seine Kolleginnen und Kollegen von der Ostschweizer Höhlengesellschaft, die Daten zu aktualisieren und ein neues Inventar herauszugeben. Es ist ein Mammutprojekt: Die Forscher wollen nicht nur bekannte Höhlen begehen und neu vermessen. Sondern auch diverse Felswände und abgelegene Täler erkunden.

Der Helm ist mit dabei

Wir begleiten Richard Graf auf einer dieser Touren in der Nähe von Turbenthal. Ich solle gute Schuhe mitbringen, hat er zuvor per Mail geschrieben. Wir seien nicht nur auf Wanderwegen unterwegs. Entlang des Chamibachs hat er auf der Landkarte zwei Felswände entdeckt, die er sich anschauen will. «Was uns dort erwartet, keine Ahnung.»

Graf ist auf alles vorbereitet: Er hat einen Helm, eine Stirnlampe, Messgeräte und etwas Proviant im Rucksack. Zu Beginn kommen wir gut voran, dann entdeckt Graf einen grösseren Abbruch an einem Seitenbach. Erd- und Steinbrocken liegen im Bachbett. Es ist noch keine Höhle, dafür müsste es mindestens zehn Meter hineingehen, doch immerhin ist die Stelle überhängend. Graf fotografiert sie, um sie später zu dokumentieren. «Der Bach ist spannender, als ich gedacht habe», sagt er. Also folgen wir seinem Lauf und klettern bald einen mit Laub überdeckten Abhang hinauf, bis vor uns eine mächtige Nagelfluhwand emporragt.

Hindernisse wie Baumstämme oder Gestrüpp sollte ein Höhlenforscher nicht fürchten.

Hindernisse wie Baumstämme oder Gestrüpp sollte ein Höhlenforscher nicht fürchten.

Abstecher kosten viel Zeit

Die Höhlen im Zürcher Oberland entstehen immer ähnlich: Harte Nagelfluhschichten wechseln sich mit weicheren Mergeleinschlüssen ab. Diese werden je nach Lage von Flüssen oder Wasserfällen mit der Zeit ausgespült. Auch die Wand vor uns ist leicht überhängend. Es reicht aber wieder nicht für eine Höhle. Graf ist dennoch zufrieden. Er hat einen schönen Ort entdeckt und weiss jetzt, dass es hier keine Höhle gibt. Dafür hat uns der Abstecher mehr als eine Stunde gekostet. Höhlenforschen braucht Zeit. Alle Bäche im Tösstal wird die Höhlengesellschaft deshalb nicht untersuchen können. Die vier bis fünf involvierten Vereinskollegen konzentrieren sich auf die grösseren Tobel. Am Nationalen Kongress für Höhlenforschung im September 2019 wollen sie das neue Inventar vorstellen.

Durchs Bachbett stapfen

Je weiter wir dem Chamibach folgen, desto wilder wird die Landschaft. Graf stapft im Wasser, steigt schnaufend über Baumstämme und zieht sich an dünnen Ästen die Böschung hoch. Warum macht er das? «Es ist mein Hobby», antwortet der seit kurzem pensionierte Berufsschullehrer und Elektrotechniker. Seine Frau gehe ins Turnen, er erkunde die Wildnis. Die meisten grösseren Höhlen in der Ostschweiz kennt der Pfungemer. Nun treibt ihn die Neugier zurück ins Zürcher Oberland, das er seit seiner Jugend kennt. In den Höhlen trifft der Forscher auf Steinformationen, Tierknochen, Fledermäuse oder Amphibien. Weniger erfreuliche Entdeckungen sind Pfannen, Matratzen oder Kühlboxen, die wilde Camper zurücklassen.

Ein achtsamer Umgang mit der Natur ist Graf wichtig. Entdecken die Höhlenforscher seltene Tierarten, melden sie das den zuständigen Stellen, etwa dem kantonalen Fledermausschutzbeauftragten. Prompt entdecken wir einen Wald- oder Steinkauz, als wir die gesuchte Nagelfluhwand nach mehreren Stunden erreichen.

Wieder keine Höhle gefunden

Auch hier gibt es keine grössere Unterspülung. Graf demonstriert dennoch, wie er bei einer Vermessung üblicherweise vorgehen würde. Mit einem Laser-Distanzmesser und einem speziellen Gerät zur Datenauslese markiert er verschiedene Punkte. Dann zeichnet er die Umrisse der Felswand auf einem Bildschirm ein. Am Computer lässt sich daraus ein exaktes Profil der Höhle anlegen. Zusammen mit Beobachtungen vor Ort entstehen so Kurzporträts der Höhlen.

Mit dem Inventar wollen die Höhlenforscher aufzeigen, dass die Region eine vielfältige Landschaft zu bieten hat und sich Ausflüge lohnen. Nur schon die Namen versprechen Abenteuer: Mo-Milch-Gubel, Hagheerenloch, Greiselgubelhöhle oder Christelishöhle. Letztere ist nicht die einzige, um die sich alte Sagen ranken.

Blick in eine der beiden Christelishöhlen.

Blick in eine der beiden Christelishöhlen.

Als sich ein verwundeter Offizier im Bergland versteckte

Einige Höhlen im Tösstal sind Schauplatz von schaurigen Geschichten und alten Überlieferungen.

Die Grotten im Zürcher Oberland faszinieren Wanderer aller Generationen. Auch Walter Hofmann und Richard Heer sind einst mit Notizblock und Kamera losgezogen, um einige sagenumwobene Löcher im Tösstal aufzusuchen. 1967 haben sie ihre Schriften mit dem Titel «Höhlen im Tösstal» in einem Separatdruck des «Landboten» herausgegeben. Sie legten dabei einen Fokus auf alte Geschichten und Sagen. Hier eine Auswahl ihrer Berichte:

Christelishöhle

Die Höhle am Dägelsberg-Osthang ist trotz eines Felssturzes begehbar, wie die Höhlenforscher um Richard Graf kürzlich herausgefunden haben. Der Legende nach soll sich darin im Jahr 1799 ein Offizier versteckt haben. Franzosen und Russen kämpften damals auf der Linthebene. Eines Morgens verirrte sich ein verwundeter Soldat namens Christen ins Bergland und brach vor einem Haus im Schindelberg erschöpft zusammen. Familie Hofer kümmerte sich um ihn. Er wurde aber von einem Hirten verraten. Hofers reagierten allerdings rasch und konnten den Verwundeten in einer Höhle in der Neurüti verstecken. Später konnte der Offizier in seine Heimat entkommen. Seither heisst die Höhle Christelishöhle.

Das Hagheerenloch diente einst Wiedertäufern als Unterschlupf.

Das Hagheerenloch diente einst Wiedertäufern als Unterschlupf.

Hagheerenloch

Oberhalb von Bauma in der Tüfenbachschlucht liegt das Hagheerenloch, das jedes Bubenherz höherschlagen lässt, wie die Autoren schreiben. Die Höhle diente einst Wiedertäufern als Unterschlupf. Im hinteren Teil der Höhle findet man Nischen, die man als Überreste von Gängen und Gewölben aus alten Zeiten auslegen könnte. Der Überlieferung nach laufen hier die Gänge aus der sagenhaften und nicht nachweisbaren Burg von Sternenberg und der Burg Werdegg zusammen. Sie sollen so hoch gewesen sein, dass die Werdegger ohne weiteres darin in den Sternenberg hätten reiten können. Schaurig ist die Geschichte eines armen Mädchens, das in dieser Höhle einst von einem Drachen verschlungen wurde. Es wollte sich von einem Schatz bedienen. Der Name Hagherr lässt sich übrigens grob mit Gewaltherrscher oder Schlossherr übersetzen.

Mo-Milch-Gubel

Im oberen Tösstal hat man in früheren Zeiten noch öfter Zwerge und Wildmannli gesehen. Als die Tösstalbahn mit ihrer Rauchfahne auftauchte, war es aber vorbei mit dem schemenhaften Treiben. Es war vor über 200 Jahren, als ein altes, schwarz gewandetes Männlein bei einem Oberländer Bauern klopfte und ihm beim Mo-Milch-Gubel einen Schatz versprach. Gegen Mitternacht führte der Bauer das Männlein zur Höhle, wo sich eine blendend weisse Jungfrau zeigte. Der Bauer war so fasziniert von ihrer Schönheit, dass er gar nicht merkte, wie das Männlein den Goldschatz abzügelte.

Susannenhöhle
Am Osthang des Schlosskopfes bei Steg hat sich eine überhängende Nagelfluhwand gebildet. Ein schönes Burgfräulein soll in dieser Gegend gefangen sein, weil es sich wegen Treuebruchs den ewigen Zorn eines Burgherrn zugezogen habe. Die Leute sagen, die Frau sei schwarz gekleidet und habe ein blasses Gesicht. roh

Anlässe zum Thema:
2. März 2019: Vortrag «Unbekannte Höhlen hinter den Tösstaler Gubelwasserfällen», Naturmuseum Winterthur.
25. Mai 2019: Exkursion «Gubel und Höhlen», Anmeldung bei Zürioberland Tourismus.


Das Hagheerenloch im Querschnitt: Die Höhle ist 12 bis 15 Meter breit und die Raumhöhe variiert zwischen 1,5 und 2,5 Meter

Beim Mo-Milch-Gubel im oberen Tösstal hat man in früheren Zeiten noch öfter Zwerge und Wildmannli gesehen.

Beim Mo-Milch-Gubel im oberen Tösstal hat man in früheren Zeiten noch öfter Zwerge und Wildmannli gesehen.

Text: Rafael Rohner
Bilder: Rafael Rohner, P. Heierle
Realisierung: Martin Steinegger

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