Gyrenbader Quitte trotzt schädlichem Pilz

Obst-Experten haben schweizweit alte Quittenbäume untersucht und inventarisiert. Dabei ist ihnen ein spezieller Baum in Gyrenbad aufgefallen. Die neu entdeckte Sorte ist fast gänzlich robust gegen Quittenblattbräune und liefert besonders süsse Früchte.

Von Rafael Rohner

Das alte Quittenbäumchen in Gyrenbad sieht mitgenommen aus. Tiefe Furchen ziehen sich durch den Stamm, an einer Stelle ist er gespalten. Der Baum steht so windschief da, dass er die Hilfe einer Metallstütze braucht, um nicht umzufallen.

Der circa 100-jährige Baum ist zum Glück aber zäh. Es wäre ein Verlust gewesen, wenn er vor einigen Jahren unbemerkt zu Boden gegangen wäre, noch bevor ihn Spezialisten untersucht haben. So aber konnten diese feststellen, dass der unscheinbare Baum etwas besonderes ist. Er ist fast gänzlich robust gegen die ansonsten weit verbreitete Pilzkrankheit namens Quittenblattbräune. Per Zufall ist hier eine wertvolle neue Sorte gewachsen: Die Gyrenbader Quitte.

Diese Quitte ist von der Quittenblattbräune betroffen. So sehen Quitten öfter aus.

Keine braune Flecken

Ausgerechnet Klaus Gersbach aus Illnau-Effretikon hat das Bäumchen auf einem Spaziergang entdeckt. Gersbach war lange Zeit Präsident des Vereins Fructus und beschäftigte sich sein ganzes Berufsleben mit Obst. 34 Jahre lang war er kantonaler Obstbauberater.

Nun steht er wieder am Hang oberhalb des Gasthauses Gyrenbad beim Hof Fuster und wiegt zwei im Herbst gepflückte Quitten wie Schätze in seinen Händen. Sie leuchten goldgelb, ihre Oberfläche ist glatt und fast makellos, obschon sie rund drei Monate lang gelagert wurden. Oft sehen Quitten anders aus: mit braunen Flecken auf den Blättern und teils auch auf den Früchten.

Gersbach ist begeistert von der Qualität der Gyrenbader Quitten: «Sie sind gewaltig schön», sagt er. «Und das ganz ohne Spritzmittel.» Drei Jahre lang hat er den Baum beobachtet, sein Fazit ist klar: Der zähe Baum widersteht der Pilzkrankheit. Analysiert wurde der Baum im Rahmen eines landesweiten Inventarisierungsprojekts, das der Verein Fructus im Jahr 2017 mit Unterstützung des Bundesamts für Landwirtschaft lanciert hatte. Ziel dabei ist es, die genetische Vielfalt heimischer Obstsorten zu erhalten und zu fördern. Das ist insbesondere bei alten Quittensorten wichtig: Wegen des Feuerbrands wurden die Bäume vielerorts gefällt. Zudem sind sie wirtschaftlich weniger interessant als andere Obstsorten.

Fructus hatte Landbesitzer über verschiedene Medien deshalb dazu aufgerufen, Quittenbäume mit einem Stammumfang von 130 Zentimeter oder mehr zu melden. Dies, weil solche Bäume in der Regel über 70 Jahre alt sind. Zweihundert Meldungen aus zwölf Kantonen sind daraufhin eingegangen. 174 Bäume hat die Projektgruppe molekulargenetisch untersuchen lassen.

Dabei haben die Experten 14 verschiedene Sorten identifiziert. Zehn davon waren in der Schweiz bislang nicht bekannt und erhielten einen neuen Namen, so auch die Gyrenbader Quitte, die für Gersbach die überraschendste Entdeckung ist.

«Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass es diverse Quittensorten gibt», sagt Obst-Experte Klaus Gersbach.

Das sind die gesunden Gyrenbader Quitten mehrere Monate nach der Ernte.

Am Standort liegt es nicht

Die Früchte des alten Quittenbaums im Tösstaler Gyrenbad sind nicht nur gegen Krankheiten robust, sie schmecken auch speziell gut, wie Susanne Fuster aus Erfahrung weiss. Sie wohnt mit ihrer Familie auf dem Hof, in dessen Obstgarten der Baum gewachsen ist. «Die Quitten sind besonders süss und lassen sich besser zu Gelee verarbeiten», sagt sie. Sie hat den direkten Vergleich. Denn gleich neben dem alten Quittenbaum wächst ein jüngeres Exemplar der Sorte Vranja. Dessen Früchte sind weniger süss und jeweils mit den typisch braunen Flecken versehen. Das bedeutet, dass es nicht am Standort liegen kann, dass der ältere Baum von der Pilzkrankheit viel weniger befallen ist.

Die robuste Sorte sei damals wohl als wilder Quittenbaum entstanden, sagt Gersbach weiter. «Der muss einfach so aus liegen gebliebenen Kernen gewachsen sein.» Für den Obst-Experten eine erstaunliche und sehr wertvolle Sache: «Resistente Quittenwildformen sind sonst keine bekannt. Sie können von der Forschung für Neuzüchtungen verwendet werden, etwa zum Einkreuzen bei Äpfeln.»

Der Baum wird vermehrt

Damit die Sorte langfristig erhalten bleibt, hat man dem Baum einige Jungtriebe entnommen. Diese werden auf Wurzelstöcke, sogenannte Unterlagen, in Baumschulen aufgepfropft. Die Äste wachsen dort zu eigenständigen, genetisch identischen Bäumen heran. Veredelung» nennt man diesen Vorgang. Wie andere neu entdeckte Sorten werden sie in zwei nationalen Sortensammlungen gesichert.

Zwei Gyrenbader Quittenbäume sollen aber auch auf dem Hof der Familie Fuster gepflanzt werden. Susanne Fuster hat sich bereits zwei sonnige Standorte dafür ausgesucht. «Es macht uns stolz, dass hier ein so spezieller Baum entstanden ist», sagt die Landwirtin. Ihr gefällt auch der Name Gyrenbader Quitte. Auf Landkarten wird der Weiler, der auf rund 720 Höhenmetern liegt,  zwar mit «i» geschrieben. Der gleich nebenan liegende Gasthof und auch die Fusters nutzen aber die ältere Schreibweise mit «y». «Der Ortsname ist für uns zur Marke geworden», sagt sie: Ihr Familienbetrieb ist in der Region für ihre Wasserbüffel und Rauchspezialitäten bekannt.

«Die Quitten des Baums sind besonders süss», sagt Landwirtin Susanne Fuster.

Bäuerin Susanne Fuster, mit Tochter Ilona, schätzt den speziellen Quittenbaum, den Obst-Experte Klaus Gersbach analysiert hat.

Bewusstsein schärfen

Nun kommen einzigartige Quitten hinzu. Die Entdeckung der Sorte ist umso wertvoller, da Quitten eher ein Schattendasein fristen. Bei einer gesamtschweizerischen Inventarisierung der Obst- und Beerensorten in den Jahren 2000 bis 2005 gingen zwar 12000 Meldungen ein, darunter waren gemäss Fructus aber nur zehn Quittenbäume.

«Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass es verschiedene Quittensorten gibt», sagt Klaus Gersbach. So sei die Idee entstanden, die noch verbleibenden Bäume zu untersuchen. Im Herbst 2016 reichte Fructus das Projekt beim Bundesamt für Landwirtschaft ein. Auch  Agroscope in Wädenswil und die Firma Ecogenics in Balgach waren am Projekt beteiligt.

Weitere Sorten entdeckt

Nebst der Gyrenbader Quitte wurde etwa die Sorte Basilea neu  entdeckt. Sie verdankt ihren Namen einem Baum, der mitten in der Stadt Basel wächst, wie es in einer Mitteilung von Fructus heisst. Erstaunlicherweise seien 21 weitere Bäume mit gleichem Profil registriert worden, die über die gesamte Deutschweiz verteilt sind. Der grösste stehe mit einem «kolossalen Stammumfang» von 255 Zentimetern in Gelterkinden im Kanton Baselland. Neu entdeckt und benannt hat Fructus zudem die Sorten Effretiker, Fontaines-sur Grandson, Thun Quitte, Vogelrüti, Wegenstetter, Riedern, Münchensteiner und Penthaz.

Die meisten der 174 gemeldeten Bäume entstammen aber alten bekannten Sorten wie Vranja, Bereczki, Bourgeault oder Konstantinopler. Die am weitesten verbreitete Sorte sei Vranja, auch sie ist nach ihrem Herkunftsort benannt, der in Serbien liegt. Die alten und neuen Quittensorten werden nun gesichert und untersucht. In ersten Tests hat man gemäss Fructus etwa festgestellt, dass die Quittenblattbräune oft nur auf der Schattenseite der Bäume auftritt. Es ist also besser, diese an möglichst sonnigen Lagen zu pflanzen. Auch auf die Bakterienkrankheit Feuerbrand sollen sie untersucht werden. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gyrenbader Quitte ähnlich anfällig sei wie andere Quitten.

Klaus Gersbach ist dennoch sehr zufrieden. Er war schon vor dem Projekt ein Quitten-Fan, auch beim Essen. So schätzt er etwa Quittengelee und aus seiner Kinderzeit Quittenkonfitüre. Sehr geeignet seien Quitten aber auch, um Schnaps zu brennen, sagt er. Im Vergleich zu anderen Obstbränden schmecke man den typischen Fruchtgeschmack besonders gut.

Text: Rafael Rohner
Fotos: Madeleine Schoder/Fructus/Pro Arbore
Produktion: Lisa Aeschlimann

Text: Rafael Rohner
Fotos: Madeleine Schoder/Fructus/Pro Arbore
Produktion: Lisa Aeschlimann

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