Die Tibeter freuen sich auf den Dalai Lama

Im Tibet-Institut in Rikon ist alles bereit für den 15. Besuch des Dalai Lama.

Auch 50 Jahre nach seiner Einweihung spielt das Tibet-Institut in Rikon im Alltag vieler Tibeter eine wichtige Rolle.

Am nächsten Freitag wird der Dalai Lama in der Region Winterthur erwartet. Das spirituelle Oberhaupt der Tibeter besucht anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums zum 15. Mal das Tibet-Institut in Rikon im Tösstal. Die offizielle Jubiläumsfeier findet am Tag danach in der ausverkauften Eulachhalle in Winterthur statt.

Karma Lobsang, Stiftungsratspräsidentin des Instituts, bereitet sich schon seit zwei Jahren ehrenamtlich auf den Besuch «Seiner Heiligkeit» vor. Für sie ist der Dalai Lama der grösste Lehrer. «Ich bin extrem glücklich, dass ich mich mit seinen Ideen verbinden kann», sagt sie.

Auch bei anderen Tibeterinnen und Tibetern ist die Vorfreude gross. «Wenn der Dalai Lama in die Schweiz reist, ist für unsere Familie klar, dass wir ihn sehen wollen», sagt Yvonne Dharshing, deren Tochter im Institut Workshops besucht. Und der Winterthurer Fotograf Manuel Bauer, der den Dalai Lama seit Jahren begleitet, sagt: «Ich freue mich darauf, diesen wunderbaren Lehrer und Menschen zu sehen.»

Das Kloster ist für viele Menschen ein wichtiger Ort für Spiritualität und Bildung, fünf von ihnen werden in diesem Webspecial vorgestellt.

Von Wald umgeben, liegt das klösterliche Tibet-Institut etwas abgelegen oberhalb von Rikon in der Gemeinde Zell. 1968 wurde es von den beiden geistlichen Hauptlehrern des Dalai Lama eingeweiht.

Von Wald umgeben, liegt das klösterliche Tibet-Institut etwas abgelegen oberhalb von Rikon in der Gemeinde Zell. 1968 wurde es von den beiden geistlichen Hauptlehrern des Dalai Lama eingeweiht.

Als sich Patrons für Fl üchtlinge einsetzten

Das Tibet-Institut in Rikon feiert in einer Woche sein 50-Jahr-Jubiläum. Bei der Gründung war der grosszügige Einsatz der Fabrikantenbrüder Kuhn entscheidend.

Eine Anekdote wird im Tösstal oft erzählt, wenn es um die Anfangszeit des Tibet-Instituts geht: Die neu angekommenen Tibeter hätten in den 60er-Jahren nicht gewusst, dass sie ihren Lohn in der Schweiz versteuern müssen. Also erklärte man ihnen, dass mit dem Geld unter anderem die Strassen finanziert würden, die sie ja auch benutzten. Am nächsten Tag sah man die Tibeter, wie sie über die Wiesen zur Arbeit in die Pfannenfabrik Kuhn Rikon liefen und es vermieden, auf die Strassen zu treten. Die Erzählung veranschaulicht: Es prallten damals zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander. Und dennoch ist es mit der Zeit gelungen, diese miteinander zu verbinden.

Beschluss des Bundesrats

Am Ursprung der Erfolgsgeschichte stand ein politischer Entscheid. Als erstes europäisches Land nahm die Schweiz Flüchtlinge aus Tibet auf. 1950 war die chinesische Armee in Tibet einmarschiert. Der Widerstand der Einheimischen wuchs und gipfelte 1959 in einem Volksaufstand, der jedoch brutal niedergeschlagen wurde. Tausende mussten verzweifelt ihre Heimat verlassen. Schon bald darauf erreichten die ersten Tibeterinnen und Tibeter die Schweiz. Bis 1964 fanden circa 200 Waisenkinder Unterschlupf im Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen und bei diversen Schweizer Familien. 1963 beschloss der Bundesrat, 1000 Flüchtlinge aufzunehmen.

Im gleichen Jahr besuchten im Tösstal die Metallwarenfabrikanten Henri und Jacques Kuhn ein Wohltätigkeitskonzert zum Thema Tibet. Auf dem Rückweg diskutierten die beiden Firmenpatrons, ob sie ihre neu gebauten Wohnungen in Rikon tibetischen Flüchtlingen zur Verfügung stellen sollen. Sie meldeten sich beim Schweizerischen Roten Kreuz. Und schon bald zog eine Gruppe von 27 Tibeterinnen und Tibetern ein. So erzählte es Jacques Kuhn 2004 in einem Interview im «Tibet aktuell». Die Erfahrungen mit den Flüchtlingen seien gut gewesen, sagte Kuhn, der Ende 2016 im Alter von 97 Jahren gestorben ist: «Obwohl die Tibeter keine gelernten Arbeiter, sondern Nomaden und Bauern waren, konnten sie gut angelernt werden.» Nicht alles lief aber reibungslos. Die Tibeter hätten zum Teil Mühe gehabt, ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen, sagte Kuhn weiter. «Einzelne entdeckten die Beizen und den Alkohol.»

Gespräch mit dem Dalai Lama

Die Familie Kuhn suchte das Gespräch mit dem Dalai Lama. Dieser wies auf die wesentliche Rolle der Klöster für die tibetische Bevölkerung hin und entsandte einen Abt und vier Mönche nach Rikon. Die Erfahrungen waren gut und so konkretisierte sich die schon länger kursierende Idee, ein Kloster zu errichten. Im November 1967 gründete die Familie Kuhn die Stiftung Tibet-Institut und stattete diese mit einem Kapital von 100 000 Franken aus. Auch das nötige Bauland stellten sie zur Verfügung. Dank zusätzlicher Spenden konnte das Kloster am 9. November 1968 von den beiden geistlichen Hauptlehrern des Dalai Lama eingeweiht werden. Der Dalai Lama selber besuchte das Kloster in Rikon erstmals im Jahr 1973. Seither war er bereits 14-mal dort, zuletzt 2013. Am 21. September wird sein 15. Besuch erwartet.

«Ich muss nach Tibet»: Roswitha Kuhn, Krimiautorin und ehemals Bibliothekarin

«Ich muss nach Tibet»: Roswitha Kuhn, Krimiautorin und ehemals Bibliothekarin

«Man hat in Tibet das Gefühl, als könnte man nach den Sternen greifen»

Bibliothekarin Roswitha Kuhn arbeitete jahrelang im Tibet-Institut und heiratete dessen Gründer Jacques Kuhn. Wie ist es dazu gekommen?

Sie erinnert sich nicht mehr daran. Aber schon als Vierjährige soll Roswitha Kuhn gesagt haben: «Ich muss nach Tibet.» Als sie lesen konnte, schenkte ihr die Grossmutter das erste Buch: «Sieben Jahre in Tibet» von Heinrich Harrer. 1986 erfüllte sich ihr Traum. Roswitha Kuhn reiste nach dem Germanistikstudium mit einer Freundin nach Tibet. Erst wenige Monate zuvor war das Land für Individualreisen geöffnet worden.

Zu Fuss überquerten die beiden die Grenze bei Nepal und fuhren erst in einem Lastwagen mit, dann in öffentlichen Verkehrsmitteln ins Landesinnere. Die Stimmung war angespannt. «Alle waren gereizt und unsicher. Die Verständigung war schwierig, nicht nur von der Sprache her.» Die 74-Jährige erinnert sich, wie ein deutscher Tourist einem chinesischen Kellner das Bier über den Kopf schüttete, weil er meinte, es sei verdorben.

Lebendige Erde

Trotzdem war sie auf Anhieb tief beeindruckt von dem Land. «Man hat in Tibet das Gefühl, als könnte man nach den Sternen greifen. Die Erde unter den Füssen ist so lebendig.» Hinzu kamen riesige Tempel, die vom Russ der Butterlampen im Innern schwarz und dunkel waren.
Zurück im Westen träumte die Österreicherin aus der Steiermark Nacht für Nacht von ihrer Reise nach Tibet und fand heraus, dass es in Rikon im Tösstal ein tibetisches Kloster gab. Mit einer Thermoskanne voll Buttertee machte sie sich auf den Weg dorthin. Und wurde eingelassen. Von da an besuchte sie das Kloster regelmässig. «Ich fand unter den Mönchen meinen Lehrer, der mich in Meditation unterwies.» 1992 bewarb sie sich im Tibet-Institut als Bibliothekarin.

Das Treffen mit dem Patron

Beim Bewerbungsgespräch sass ihr Jacques Kuhn gegenüber, der ehemalige Patron der Pfannenfabrik Kuhn Rikon. Er war es, der mit seinem Bruder Henri auf Wunsch des Dalai Lama Ende der 60er-Jahre das Tibet-Institut gegründet hatte. Die Begegnung mit Kuhn war der Anfang einer grossen Liebe. Nachdem sie zehn Jahre zusammengelebt hatten, heirateten sie 2007, als er 88 Jahre alt war.

Roswitha und Jacques teilten fortan alles miteinander, vor allem aber viele Geschichten. Sie schrieben gemeinsam Tösstal-Krimis oder Jacques Kuhn, der 2016 im Alter von 97 Jahren gestorben ist, erzählte ihr, wie der Dalai Lama in den Anfängen des Tibet-Instituts die Wildbergstrasse hinunterspazierte und im Garten der Familie Brombeeren pflückte.

Umziehen für Seine Heiligkeit

Der Dalai Lama besuchte das Kloster in Rikon seit 1973 regelmässig, circa alle zwei Jahre. «Früher wohnte er auch dort», sagt Roswitha Kuhn. Er wollte ursprünglich eine einfache Mönchszelle beziehen, was die Tibeter aber nicht goutierten. So musste die Familie Lindegger, die damals mit ihren tibetischen Kindern im Penthouse wohnte, ausziehen, um für Seine Heiligkeit Platz zu schaffen.

Noch im Jahr 1998 habe der Dalai Lama bei seinem Besuch zum 30-Jahr-Jubiläum des Tibet- Instituts im obersten Stockwerk übernachtet. Inzwischen seien die Sicherheitsvorkehrungen dafür zu gross geworden.

Seine Auftritte aber blieben unverändert: «Wenn man dem Dalai Lama begegnet, verzieht sich das Gesicht von selbst zu einem breiten Lächeln», sagt Roswitha Kuhn. «Das passiert jedem. Ich weiss nicht, wie er das macht, man reagiert einfach so auf ihn.»
Gespräche mit dem Dalai Lama seien anders als mit anderen Menschen. «Man redet nicht einfach, man wartet, dass er einen anspricht.»

Meditieren schärft den Geist

Das Leben im Tibet-Institut habe sich mit den Jahren stark verändert. «Es gab zeitweise einen fast hysterischen Boom. Der Buddhismus wurde zur Modeströmung», sagt Roswitha Kuhn. «Heute kommen wieder mehr Tibeter und weniger Westler ins Kloster.»

Bis heute geht Roswitha Kuhn regelmässig ins Institut und hilft, wenn nötig, mit. Seit 26 Jahren meditiert sie täglich. «Das schärft den Geist und beruhigt ihn.» Darum gehe es im Grunde: ein bewusstes Leben zu führen.

«Gutes Karma ist wichtig»: Yvonne und Dharma Dharshing

«Gutes Karma ist wichtig»: Yvonne und Dharma Dharshing

«Man lernt dort viel»

Auch Kinder und Jugendliche setzen sich im Tibet-Institut mit Buddhismus auseinander. Die zehnjährige Dharma Dharshing sagt, was ihr das Kloster bedeutet.

Dharma Dharshing erinnert sich noch genau, als sie das erste Mal einen der Kinder-Workshops im tibetisch-buddhistischen Kloster in Rikon besuchte. «Ich war ganz nervös», sagt sie. Fünf Jahre alt sei sie damals gewesen und die Mönche hätten rot-orange Kleider getragen. «Es war völlig anders als zu Hause.» Seither war Dharma Dharshing mit ihrer Familie immer wieder in Rikon, an Feiertagen oder sonstigen Anlässen. Regelmässig nimmt sie an Workshops teil, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten. «Es ist wichtig, dass man hingeht», ist die Zehnjährige überzeugt. «Man lernt dort viel.»

Um das zu veranschaulichen, öffnet sie eine Mappe, die sie zu Hause in Egg im Zürcher Oberland vor sich auf den Tisch gelegt hat. Dann zeigt sie auf eine Seite mit dem Titel «Der achtteilige Pfad», der ihr besonders geblieben ist. Es sind die zentralen Lehren des Buddhismus, in einfachen Worten erklärt. Sie habe so etwa gelernt, dass man andere mit seinen Worten nicht verletzen und nicht lügen dürfe, sagt Dharma Dharshing.

Ihre Mutter, Yvonne Dhar­shing, nickt. Dharma habe die Lehren sehr ernst genommen und diese pflichtbewusst umgesetzt. «Ich war aber auch schon vorher nett», fügt die Zehnjährige an.

Ein Altar im Wohnzimmer

Auch sonst sind im Alltag der vierköpfigen Familie tibetische Traditionen präsent. Im Wohnzimmer steht ein Altar mit einem Bild des Dalai Lama. «Wir versuchen, positiv zu sein und den Kindern beizubringen, dass es wichtig ist, für gutes Karma zu sorgen», sagt Yvonne Dharshing. «Darüber sprechen wir oft.» Und wenn der Dalai Lama in die Schweiz reise, sei für die Familie klar, dass sie ihn auch sehen wollen. «Wie für die meisten Tibeter. Viele tragen dann ihre schönsten Trachten, je nach Region in unterschiedlichem Stil.»

Yvonne Dharshing ist Schweizerin, ihr Mann tibetischer Abstammung und ebenfalls Schweizer. Seine Eltern reisten 1973 in die Schweiz ein. Beide sind berufstätig, er als Personalbereichsverantwortlicher, sie als Com­pliance Officer. Obwohl sie beide stark eingebunden sind, wollen sie ihren Kindern Wissen über tibetische Traditionen und die Kultur weitergeben. «Das ist ein Teil der Familie», sagt Yvonne Dharshing.

Und so hat ihre Tochter in der Schule jüngst als Vortragsthema «Tibet» gewählt. Sie erklärte ihren Klassenkollegen etwa, was Momos sind und dass man im Buddhismus an Wiedergeburt glaubt.

Tibetische Neujahrszeremonie im Tibet-Institut Rikon

«Mitgefühl als Leitidee»: Manuel Bauer mit dem Dalai Lama

«Mitgefühl als Leitidee»: Manuel Bauer mit dem Dalai Lama

«Die Lehren des Dalai Lama sind absolut logisch»

Manuel Bauer begleitet den Dalai Lama seit Jahren als Fotograf. Sein Respekt für ihn sei dabei immer grösser geworden.

Als junger Fotograf reiste Manuel Bauer mit einem Journalisten der «Zürichsee-Zeitung» nach Indien. Die beiden wollten im Jahr 1990 Tibeter im Exil porträtieren und herausfinden, ob sie die tibetische Kultur auch in der Diaspora erhalten können. Sie führten diverse Interviews und nahmen sich viel Zeit.

Dabei besuchten sie auch den Dalai Lama. Manuel Bauer fotografierte den Mönch beim Gärtnern oder beim Gebet, auch private Aufnahmen waren möglich. «Erst später realisierte ich, wie speziell das war.» Das Thema Tibet liess ihn seither nie mehr los. Mehrmals reiste Bauer daraufhin nach Indien und begleitete den Dalai Lama schliesslich vier Jahre lang überallhin auf der Welt.

Faszination kühlte nicht ab

Mit seinen Bildern wollte Bauer auf die Geschichte der Tibeter aufmerksam machen und die Öffentlichkeit aufrütteln. «Es gab zwar schon früh Bilder des Dalai Lama, es fehlte ihnen aber die Tiefe.» Er interessierte sich für seine Persönlichkeit in allen Facetten. Bevor er den Dalai Lama begleitete, hatte er befürchtet, dass sich seine Faszination mit der Zeit abkühlen würde. So wie das bei prominenten Vorbildern oft der Fall sein könne: Wenn man sie im Alltag kennen lernt, verpuffen die eigenen Vorstellungen, die man in sie projiziert hat. Passiert ist das Gegenteil: «Mein Respekt für ihn ist mit jedem Tag grösser geworden.» Alles, was der Dalai Lama lehre, lebe er zu 100 Prozent.
Als Fotograf beobachte man die Leute genau. «Man merkt mit der Zeit, wenn jemand zynisch ist oder sich verstellt.» Beim Dalai Lama gebe es nichts davon. «Das ist unendlich beeindruckend.»

Besuch bei Vaclav Havel

Dahinter stecke aber auch viel Arbeit und Training. «Der Dalai Lama sieht sich immer als Student.» Um 3 Uhr in der Früh stehe er auf und beginne mit Meditation. «Die Liebe und das Mitgefühl, die er dann am Tag verbreitet, kommen nicht von nichts. Da stecken viel Arbeit und lange Selbstanalysen dahinter.» Bauer erinnert sich daran, als sie in Tschechien vom damaligem Präsidenten Vaclav Havel empfangen wurden – in einem prächtigen Schloss mit Garten. «Da der Dalai Lama Pflanzen liebt, habe ich erwartet, dass er im Garten spazieren wird. Doch der Dalai Lama zog sich zurück, dunkelte sein Zimmer ab und meditierte. Er wollte sich auf das Wesentliche konzentrieren.»

Beeindruckt hat Bauer auch, dass der Dalai Lama allen Menschen gleich begegnet. Der Mann, der die Tür öffne, werde ebenso begrüsst wie der Präsident, der dahinter warte.

Lehren für den Alltag

Begegnet der Dalai Lama Prominenten, geschehe zudem oft Erstaunliches: «Sie lassen ihre Masken sofort fallen und grinsen so breit, wie man es sonst nie sieht.»

Bauer selbst versucht nach Treffen mit Seiner Heiligkeit möglichst viel in seinen Alltag mitzunehmen. «Seine Lehren sind absolut logisch. Wenn man es sich genau überlegt, wird klar, dass Mitgefühl und Liebe für alle die Leitmaxime sein sollten.»

Den Besuch des Dalai Lama in der Schweiz ab dem 21. September wird Manuel Bauer als Fotograf begleiten. Er freut sich darauf, «diesen wunderbaren Lehrer und Menschen» zu sehen. Er ist aber auch angespannt. Als Fotograf bewege man sich ständig im Konflikt. Er wolle einerseits gute Bilder machen, andererseits aber niemandem im Weg stehen oder gar den Ablauf stören.

Programm Jubiläum

Der Dalai Lama reist anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Tibet-Instituts in die Schweiz und begleitet mehrere Veranstaltungen. Am 21. September besucht er von 10 bis 12 Uhr das Tibet-Institut in Rikon und weiht das neue Lichtopferhaus ein. Die Wildbergstrasse ist für den Verkehr dann geschlossen. Für Besucher wird die Veranstaltung in den Klostergarten übertragen.

Am Samstag, 22. September, findet in der Eulachhalle Winterthur die offizielle Jubiläumsfeier statt. Die Tickets sind bereits ausverkauft. Am Sonntag hält der Dalai Lama im Hallenstadion in Zürich eine Unterweisung ab. Die Tickets hierfür sind ebenfalls bereits ausverkauft.
Am Montag ist er zudem in der ZHAW zu Gast, der Anlass ist allerdings nicht öffentlich.

«Meine Hoffnung liegt bei den Menschen»: Karma Lobsang in der Bibliothek des Tibet-Instituts

«Meine Hoffnung liegt bei den Menschen»: Karma Lobsang in der Bibliothek des Tibet-Instituts

«Ruth Dreifuss schickte uns zur Unterstützung Blumen»

Karma Lobsang engagierte sich einst als Aktivistin für Tibet. Heute geht sie ganz bewusst einen anderen Weg.

Als sie 13 Jahre alt war, schrieb Karma Lobsang der chinesischen Botschaft in der Schweiz einen Brief. Sie fragte darin, weshalb ihr Herkunftsort Tibet nicht frei sei. Eine Antwort erhielt sie nicht. Die Frage sollte sie noch lange beschäftigen.

Inzwischen ist die 52-Jährige die erste Tibeterin, die den Stiftungsrat des Tibet-Instituts präsidiert. Seit zwei Jahren bereitet sich die Hochschuldozentin und Mediatorin auf das bevorstehende 50-Jahr-Jubiläum und den 15. Besuch des Dalai Lama vor. Unzählige Stunden hat sie dafür ehrenamtlich eingesetzt.

Das geht wohl nur, weil sie aus einer tiefen inneren Überzeugung handelt: Sie will allen Interessierten eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Buddhismus und der tibetischen Kultur ermöglichen. Dazu gehört für sie auch der Dialog mit westlichen Wissenschaften. «Ethik ist wichtiger als Religion», zitiert sie eine Aussage des Dalai Lama. Karma Lobsang schlägt als Ort unseres Treffens deshalb auch die Bibliothek im Tibet-Institut vor. Es ist die zweitgrösste tibetische Fachbibliothek weltweit. Durch grosse Glasfenster sieht man über bewaldete Hügel des Tösstals. Kaum ein Geräusch ist zu hören. Nur die Gebetsfahnen bewegen sich leicht im Wind.

Wissen teilen

Karma Lobsang ist überzeugt, dass man mit den Kernthemen des Buddhismus – Mitgefühl und Umgang mit negativen Gefühlen – auch Kinder und Jugendliche ansprechen kann. Das Tibet-Institut bietet seit längerem spezifische Workshops an. So soll das Wissen über tibetische Kultur an die nächsten Generationen weitergegeben werden. Das Bildungsangebot richte sich aber nicht nur an Tibeter. «Wir wollen Wissen teilen.» Grundsätzliche Fragen, etwa wie man sich als Mensch konstruktiv verhalte, «beschäftigen alle».

Wann sie das erste Mal das Tibet-Institut in Rikon betreten hat, weiss Karma Lobsang nicht mehr genau. Sie ist mit ihrer Familie in Samedan im Engadin aufgewachsen. Häufig habe es zu viel Schnee gehabt, um das Tal zu verlassen. Erst später als Jugendliche ging sie öfter an Veranstaltungen im Kloster.

Zu Hause sprach sie Tibetisch, in der Schule und später am Lehrerseminar hauptsächlich Rätoromanisch. Lobsangs Eltern waren 1959 aus Tibet geflüchtet. Das Rote Kreuz vermittelte ihnen eine Unterkunft in der Schweiz. Ihr Vater war Übersetzer einer tibetischen Flüchtlingsgruppe und arbeitete danach als Buchbinder. Über den Buddhismus hat sie vor allem von ihrem Grossvater viel gelernt, er war Mönch.

Hungerstreik in Zürich

Karma Lobsang beschäftigte sich nach ihrem Brief an die chinesische Botschaft weiter mit Politik. Und sie fiel damit auf. Sie war Mitbegründerin der Tibetischen Frauenorganisation, die es bis heute gibt. Schon seit der Primarschule interessiere sie sich vor allem für Gleichstellungsfragen, auch dank ihrer Lehrerin in Samedan. Diese habe jeweils gesagt: «Es lebe die Frau, das Fräulein ist tot.» Für Aufregung sorgte Karma Lobsang im Jahr 1995. Sie wollte mit zwei tibetischen Kolleginnen an die Weltfrauenkonferenz in Peking reisen. Doch das Visum wurde ihnen verweigert, obwohl sich selbst Bundesrätin Ruth Dreifuss dafür eingesetzt hatte. «Das Flugzeug startete ohne uns. Wir sind wütend, traurig und enttäuscht», sagte Karma Lobsang damals zu einem Journalisten. Die drei Frauen wehrten sich, indem sie mit acht anderen Tibeterinnen vor der Credit Suisse in Zürich in einen Hungerstreik traten. «Bundesrätin Ruth Dreifuss schickte uns zur Unterstützung Blumen.» Nach Peking konnten sie trotzdem nicht reisen.

Zweimal ist Karma Lobsang inzwischen nach Tibet gereist. Vorläufig will sie nicht mehr dorthin. Sie sei nach den Reisen jeweils krank geworden. «Ich habe mich danach so ohnmächtig und so hilflos gefühlt.»

Der grösste Lehrer

Lieber spricht sie über den bevorstehenden Besuch des Dalai Lama oder das Tibet-Institut. Politischen Aktivismus habe sie ganz bewusst überwunden und sich auch deshalb dafür entschieden, sich für das unpolitische Tibet-Institut zu engagieren. «Meine Hoffnung liegt bei den Menschen», sagt sie. Es sei nachhaltiger, in Ethik und Haltung zu investieren und damit in die Wissenschaft des Bewusstseins. «Da wächst etwas, da kann ich mich nähren und dazu beitragen, dass tibetisches Wissen an die jüngere Generation weitergeht.»

Der grösste Lehrer sei für sie der Dalai Lama. «Ich bin extrem glücklich, dass ich mich mit seinen Ideen verbinden kann.» Seine Lehren seien für sie auch bei ihrer Arbeit als Mediatorin und Hochschuldozentin wichtig.

Texte: Rafael Rohner; Bilder: Madeleine Schoder, Rafael Rohner, Yoshiko Kusano; Realisation: Martin Steinegger

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