Das Verbot

Bild: Creative Commons CC0

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Die deutsche Politik äusserte sich bis vor zwei Jahren nicht eindeutig zur Frage, ob Suizidhilfe zulässig sein soll. Klar war die Situation nur für Ärztinnen und Ärzte – also diejenigen, die über den Prozess des Sterbens am besten Bescheid wissen. Sie durften offiziell nicht helfen. Das war ihnen in den meisten Bundesländern durch ihre Standesordnung untersagt.

Im Strafrecht war die Beihilfe zur Selbsttötung nicht explizit verboten. Davon profitierten mehrere selbst ernannte Sterbehelfer, die im Land unterwegs waren und ihre Dienste anboten. In institutionalisierter Weise half seit 2010 auch der Verein Sterbehilfe Deutschland, getreu den Schweizer Vorbildern Exit und Dignitas.

«Hinter der Sorge, dass die organisierte Suizidhilfe zu weit geht, steht in Deutschland eine historische Erfahrung», sagt der Ethiker Christoph Rehmann-Sutter.

Was die deutschen Sterbehelfer von der Schweiz nicht übernehmen konnten, war der Einsatz von Natrium-Pentobarbital als Sterbemittel. Dieses darf in der deutschen Humanmedizin nicht verschrieben werden, weil es im Betäubungsmittelgesetz als verbotenes Medikament aufgelistet ist. Also mussten sie auf andere Methoden zurückgreifen, die jedoch als weniger sicher gelten. Manche Deutsche reisten deshalb schon damals zum Sterben in die Schweiz.

Erst Ende 2015 rang sich die Politik dazu durch, die Suizidhilfe im Strafgesetzbuch zu regeln. Der Bundestag verabschiedete mit 360 Ja-Stimmen gegen 233 Nein-Stimmen einen neuen Paragrafen:



§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.


Was bedeutet diese Gesetzesänderung in der Praxis? Der Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter befasste sich bereits in seiner Zeit als Präsident der Nationalen Ethikkommission der Schweiz mit der Suizidhilfe, heute forscht er an der Universität Lübeck unter anderem zum Thema Sterbenswünsche todkranker Patienten. Er beurteilt das Verbot im Paragrafen 217 sehr differenziert:



Statt eines Verbots hätte sich Rehmann-Sutter eine Regelung gewünscht, welche die Organisationen an genaue Sorgfaltskriterien bindet. «Das hat die Ethikkommission damals auch in der Schweiz gefordert. Es wurde aber auch bei uns nicht so umgesetzt.»

Hierzulande macht sich laut Strafgesetzbuch nur strafbar, wer «aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet». Trotzdem hätten die Suizidhilfeorganisationen in der Schweiz auch einen kommerziellen Aspekt, sagt Rehmann-Sutter. «Es wird akzeptiert, dass zumindest die Unkosten gedeckt werden.»

Weniger strenge Regeln als in Deutschland gelten auch für die Schweizer Ärzteschaft. Und die Zeichen deuten in Richtung einer weiteren Liberalisierung: Vor kurzem hat die Akademie der Medizinischen Wissenschaften eine gelockerte Version der Ethikrichtlinien für ärztliche Suizidhilfe in die Vernehmlassung geschickt. Die neuen Standards dürften voraussichtlich in die Standesordnung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte aufgenommen werden.

Wieso wird in den beiden Ländern so unterschiedlich mit der Suizidhilfe umgegangen? Den Hauptgrund sieht Ethiker Rehmann-Sutter in der deutschen Geschichte:



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