Der Sterbewillige

Lungenkrebs. So lautete die Zufallsdiagnose, die Wolfgang Schmidt* klar machte, dass er früher als andere sterben muss. Der Grund der Erkrankung, sagt er, sei ihm klar: In seinem 70-jährigen Leben habe er fast 40 Jahre lang geraucht. Zwei bis drei Schachteln am Tag. Er spricht leise, wählt seine Worte mit Bedacht. Während des Sprechens reibt er den Stoff seines Jacketts zwischen Daumen und Zeigefinger. Oft meidet er Blickkontakt. Es scheint, als habe er sich schon fast vom Leben verabschiedet.

«Alle sprechen über die Geburt und was damit verbunden ist. Über den Tod spricht niemand. Das ist das grösste Problem.»

Nach der Diagnose unterzog sich Schmidt einer Operation, doch die Ärzte stellten fest, dass es für eine Rettung zu spät war. Der Krebs hatte sich bereits ausgebreitet. Eine Heilung war nicht mehr möglich, nur noch eine Schmerzlinderung mittels Strahlentherapie. Die Ärzte boten ihm zudem eine Chemotherapie an, um sein Leben um einige Monate zu verlängern. «Statistisch ist das aber nicht abgesichert, deshalb habe ich mich dagegen entschieden», sagt er. Stattdessen wählte er den Suizid:

Für den ehemaligen Apotheker Schmidt wäre es ein Leichtes gewesen, sich genug Medikamente zu beschaffen, um selber einen Suizidversuch unternehmen zu können. Davon abgehalten hat ihn das abschreckende Beispiel eines Freundes. «Er hat zur Schrotflinte gegriffen. Mit verheerenden Folgen.» Der Freund überlebte und lag danach lange im Spital. «Bis endlich irgendjemand entschieden hat, die Maschinen abzustellen.»

Schmidt suchte jemanden, der ihm bei seinem eigenen Suizid assistiert, und fand diese Hilfe in ganz Europa nur an einem Ort: in der Schweiz, beim Verein Dignitas. Einen Tag nachdem er dies erzählt, wird er im Sterbehaus in Pfäffikon das sehr starke Narkosemittel Natrium-Pentobarbital eingenommen haben. Innert Minuten führt es zum Tode.

Bevor jedoch einer der Schweizer Ärzte, die mit der Suizidhilfeorganisation zusammenarbeiten, ein Rezept für das todbringende Medikament ausstellt, muss Schmidt nochmals für ein Gespräch zu ihm in die Praxis. Ein zweites Mal wird überprüft, ob er alle Bedingungen erfüllt. Jeder Schritt wird dokumentiert.

Für das ganze Prozedere habe er circa 10 000 Euro bezahlt, sagt Schmidt. Und zweimal musste er in die Schweiz reisen. «Natürlich wäre ich lieber zu Hause in meinem Bett gestorben. Aber leider ist das in Deutschland nicht möglich.»



Seine Familie wird ihn auf seiner letzten Reise begleiten: seine Ex-Frau, zwei Söhne, eine Tochter. Alle sind mit in die Schweiz gekommen. Einer der Söhne, Andreas Schmidt*, beschreibt die Situation für Angehörige als «Wahl zwischen Teufel und Beelzebub». Entweder sein Vater sterbe einen qualvollen Tod und die Familie müsse dabei zuschauen, oder man wisse wie in ihrem Fall den Todeszeitpunkt des geliebten Menschen im Voraus – auf die Stunde genau. Auch das sei nicht einfach:



* Namen geändert

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«Ich bin wütend, weil mir in Deutschland die Freitodbegleitung verweigert wird. Der Staat mischt sich da in eine höchst private Angelegenheit ein.»
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