Welche Bedeutung haben ­seltene Krankheiten für das Kinderspital Zürich?
Matthias Baumgartner: Seltene Krankheiten sind die Kernkompetenz des Kinderspitals. Ein Kinderarzt in der Praxis kann dafür nicht das nötige Fachwissen aufbauen. Am Kispi sind wir extrem breit aufgestellt mit Spezialisten für seltene Krankheiten, die im Kindesalter auftreten. Weil sie eben selten sind, braucht man möglichst viele Patienten, um Erfahrungen zu sammeln.

Wie wichtig ist die Forschung?
Sie ist der Taktgeber. Damit entdeckt man auch heute noch neue seltene Krankheiten. Sie macht es möglich, sich international auszutauschen, damit man die Krankheiten besser versteht. Für Harnstoffzyklusdefekte wie Emmas OTC-Mangel sind wir das diagnostische Zentrum und haben Proben aus ganz Europa. Damit können wir forschen, um die Entstehung besser zu verstehen und Therapien zu entwickeln.

Macht das nicht die Pharmaindustrie?
Bei den meisten seltenen Krankheiten gibt es kein entsprechendes Interesse, weil es nur wenige Betroffene gibt. Wir müssen die Forschung so weit bringen, dass es für die Industrie ökonomisch interessant wird.

Die Therapien sind teilweise sehr teuer. Bei Kindern übernimmt die IV die Kosten. Was geschieht, wenn sie erwachsen werden?
Dann übernehmen die Krankenkassen. Aber das klappt nicht immer. Dort gibt es eine erkannte Gesetzeslücke. Es gibt keinen Automatismus, und der administrative Aufwand für Ärzte und Krankenkassen ist riesig.

Die Gesetzeslücke ist bekannt, aber es geschieht nichts?
Es gibt einen nationalen Plan für seltene Krankheiten. Aber die Lösungen sind noch nicht da. Die IV-Geburtsgebrechenliste ist uralt und soll nun neu aufgesetzt werden. Das Krankenversicherungsgesetz ist nicht gemacht für seltene Krankheiten. Sie fallen durch die Maschen. Längerfristig wird es nicht ohne gesetzliche Bestimmungen gehen, das dauert aber sehr lange. Derzeit gibt es viel Willkür und Ungerechtigkeit.

Um von möglichst vielen ­Patienten zu lernen, gibt es ­Register seltener Krankheiten.
Die gibt es nur für einzelne Krankheiten oder Krankheitsgruppen. Der Bundesrat will im Rahmen seines Konzepts zu seltenen Krankheiten ein Schweizer Register aller Patienten. Man sagt, dass 5 bis 7 Prozent der Bevölkerung von seltenen Krankheiten betroffen sind, aber niemand weiss, ob diese Zahlen stimmen. Wenn wir die Patienten erfassen, können wir sie kontaktieren, etwa wenn ein neues Medikament auf den Markt kommt oder für Studien. Die Patienten sind dazu bereit, weil die Forschung für sie oft die letzte Hoffnung ist.

Wie weit sind Sie mit dem Schweizer Register?
Das Kinderspital Zürich und das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern sind dabei, dieses ins Leben zu rufen. Aber es steht und fällt mit der Finanzierung. Gesetzlich ist vorgesehen, dass der Bundesrat jährlich eine Million Franken sprechen kann für solche Register. Vor mehreren Wochen hat er aber entschieden, dass diese Gelder momentan nicht zur Verfügung stehen. Wir stehen also mit leeren Händen da.

Andere Möglichkeiten derFinanzierung gibt es nicht?
Da das Register langfristig betrieben werden soll, geht das nicht über Fundraising. Der Bund versucht die Kosten auf die Kantone abzuschieben, diese sagen aber, der Bund sei zuständig. Dass jetzt vorerst nichts passiert, ist bitter – vor allem für die Betroffenen. Sie sind die Leidtragenden.