Die Aktivistin

Auch die 87-jährige Käthe Nebel unterstützt die Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot von Suizidhilfeorganisationen. Als Mitglied des Vereins von Roger Kusch trägt sie einen Teil der Kosten, die für den juristischen Kampf anfallen. Politisch aktiv war Nebel, die heute fast blind ist, schon immer: Wenn atomare Brennstäbe mit der Bahn quer durch Deutschland verschoben wurden, hockte sie sich auf die Zugschienen. Um Abfälle zu vermeiden, gründete sie einen Verschenkmarkt, und als bei ihr in der Umgebung ein Moor hätte trockengelegt werden sollen, setzte sie sich für dessen Erhalt ein.

Nebel möchte den begleiteten Suizid propagieren, wie sie sagt. Dafür hat sie zum Beispiel vor rund drei Jahren einen Informationsabend an ihrem Wohnort organisiert, in Oldenburg, im hohen Norden Deutschlands. Sie lud den Dignitas-Gründer Ludwig Minelli ein, der in seinem Vortrag auch Werbung für seine Freitodbegleitungen in Pfäffikon machte.

«Wegen des Verbots ist die Angst grösser geworden, öffentlich über das Thema zu sprechen.»

Zum ersten Mal in Kontakt mit Dignitas kam Nebel vor über zehn Jahren durch eine Freundin, die an einer chronischen Krankheit litt. «Sie war nie ohne Schmerzen und musste ständig Morphium nehmen», sagt Nebel. Eines Tages habe sie ihr erzählt, sie wolle sich Steine an den Körper binden und in einen Fluss springen, um ihr Leiden zu beenden. Bevor es so weit kam, erfuhr die Freundin von den Freitodbegleitungen bei Dignitas. «Ich habe sie in die Schweiz begleitet. Dort starb sie in meinen Armen.»

Mehrmals pro Jahr trifft sich Nebel mit Gleichgesinnten, um sich über das Thema Suizid auszutauschen. Die Treffen finden in ihrem Wohnzimmer statt:

Zu dieser privaten Diskussionsgruppe kämen normalerweise fünf Leute, erzählt sie. Ihrer Einladung ist dieses Mal nur jemand gefolgt: ein Physiotherapeut aus der Umgebung. Die anderen hätten, als sie erfuhren, dass jemand von der Presse dabei sein würde, nicht kommen wollen. «Wegen des Verbots ist die Angst grösser geworden, öffentlich über das Thema zu sprechen.»

Das Gespräch dreht sich um verschiedene Möglichkeiten, wie man sein Lebensende selber gestalten könnte. Was gehört in die Patientenverfügung? Wie kann man sich am besten selber das Leben nehmen, wenn man es eines Tages nicht mehr als lebenswert empfinden sollte?

«Ich habe schon Angst, dass ich etwas falsch machen könnte», sagt der Physiotherapeut. «Es wäre besser, wenn man sich auch in Deutschland von einer sachkundigen Person, am besten von einer Organisation, helfen lassen dürfte.» Nebel sagt, vor der Einführung des neuen Gesetzes habe sie mehrmals Sterbehelfer eingeladen, die aus den Medien bekannt waren.

Dass Nebel sich schon lange intensiv mit dem Thema Suizid auseinandersetzt, sieht man auch ihrem Bücherregal an. Eine ganze Abteilung ist dafür reserviert. Sie zieht ein paar Bücher heraus und legt sie aufs Bett:

Wie sie ihren eigenen Suizid gestalten würde, falls sie es denn jemals als nötig empfände, hat sie bereits entschieden. Ihre Methode funktioniere gut, sagt sie, ohne eine Spur von Zweifel in der Stimme. Eine ihrer Freundinnen sei auf dieselbe Art erfolgreich aus dem Leben geschieden. «Ich mache auch regelmässig Trockenübungen, damit ich im entscheidenden Moment genug entspannt bin.» Und wenn es nötig wäre, sagt Nebel, würde sie auch anderen helfen, obwohl sie mit Konsequenzen rechnet:




Das Leiden der Frau im Hospiz, das für Nebel mit ein Argument für die Zulassung von Suizidhilfeorganisationen ist, wäre laut Ethiker Christoph Rehmann-Sutter vermeidbar gewesen. «In einem solchen Fall hätte die Ärztin mehr tun dürfen», sagt er:



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